Jahreslosung 2022

von Pfarrer Thilo Haak

Eine offene Tür, dahinter ein gedeckter Tisch mit Brot und Wein. Der Raum gefüllt mit warmen Licht. Aus der Kälte trete ich hinüber ins Warme. Der Schlüssel zu dieser Tür ist das Kreuz, das Zeichen Jesu.

Es zieht mich in diesen Raum. Ich fühle mich eingeladen. Wen werde ich dort treffen? Wer ist mit mir durch diese Tür gegangen? Wer hat die Tür geöffnet?

Die Jahreslosung 2022, liebe Gemeinde, ist eine Einladung. So wie das neue Jahr noch ganz offen vor uns liegt, so ist dieser Raum für uns, in den Jesus uns einlädt. Er weist keine und keinen ab, der oder die zu ihm kommen wird.

Eingebettet sind die Worte der Jahreslosung im Johannesevangelium in die lange Rede, in der Jesus von sich als dem Brot des Lebens spricht. Die gläubigen und frommen Menschen hatten das Brotwunder gesehen. Solch ein Wunder kann nur ein Prophet Gottes, des Ewigen, tun. Und dieser Prophet ist verheißen. Er wird in die Nachfolge des Moses treten, der einstmals das Volk durch die Wüste führte und der ihnen das Manna, das Himmelsbrot, gab. Aber sicher sind sie sich nicht, ob dieser Jesus eben der verheißene Nachfolger des Moses ist, ob er der Messias, der Auserwählte Gottes ist, der sein Volk abermals in die Freiheit führen wird.

Die geistliche Sehnsucht nach der Nähe Gottes und die politische Forderung nach Veränderung der Verhältnisse waren ineinander verwoben, ja verschmolzen zu einer Forderung des Volkes. Wir brauchen einen neuen König, einen der die Machtverhältnisse im Lande ändert und für uns sorgt mit dem täglich Brot. Wenn der Auserwählte Gottes da ist, dann wird keiner mehr hungern müssen und der Armut ist ein Ende und Gott wird seinem Volk wieder ganz nahe sein.

Aber die Sattheit des Leibes stand an erster Stelle. Wer Brot gibt, der hat politische Macht. Ein Wissen, das die herrschenden Römer gern unter dem Motto „Gebt dem Volk Brot und Spiele, dann wird es nicht aufbegehren.“ im Munde führten.

Und so kommen sie nun zu Jesus. Ganz sicher sind sie sich nicht. Ist er wirklich der, der ihr neuer Anführer sein kann? Ist er der verheißene Prophet? Ist er der Nachfolger des Moses? Als das Volk in der Wüste murrte, gab es Manna vom Himmel. Welches Zeichen mag Jesus tun können?

So kommen sie zu ihm, um endlich Gewissheit zu erlangen: „Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen.“

Die Antwort Jesu fällt anders aus, als sie erwarten: „Nein, nein, nicht Mose hat das Bot vom Himmel fallen lassen. Gott, unser Vater, gibt uns das Brot vom Himmel. Und er gibt noch ein anderes Brot als das, welches man essen kann. Er gibt das Brot, das der Welt Leben gibt. Nicht nur, dass Euer Bauch voll werde und ihr satt seid, sondern so, dass Euer Leben eine andere Qualität erhält.“

Jesus weist keinen ab, der zu ihm kommt, auch wenn die Menschen mit Forderungen kommen. Mit der Bitte um Brot, mit der Sehnsucht nach einem neuen politischen Anführer. Mit Ansprüchen, die Jesus zu erfüllen gar nicht gekommen ist. Das Wort vom Brot ist ein Bildwort; Jesus benutzt es, um die Menschen zu einem neuen und anderen Leben einzuladen.

Das merken die Menschen auf einmal, sie erkennen, dass Brot nicht nur ein Symbol für reiches materielles Auskommen ist, sondern dass es ein Symbol für das Leben schlechthin ist.

Jesus setzt ein Zeichen, das anders ist, als von den Menschen gefordert. Er ist selbst das Lebensmittel aller Lebensmittel. „Ich bin“ sind dabei heilige Worte. Zur Zeit Jesu und zur Zeit der Vorväter des Glaubens war eine solch konkrete und festlegende Selbstaussage allein Gott vorbehalten.

„Was soll ich dem Volk sagen, wenn sie wissen wollen, wer mich sendet?“, fragt Mose Gott am brennenden Dornbusch. Und er erhält die Antwort: „Ich bin der, als der ich mich erweise – diesen Namen gib ihnen weiter.“ Damals wie heute war dieser Zusammenhang zum Jesuswort den bibelfesteren Hörenden bewusst. Und wie wir heute verbanden auch die Hörenden damals mit dem Brotwort Jesu die Feier des Heiligen Abendmahls.

„Nehmt hin und esst, dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, dieser Satz drängt sich als Hintergrund geradezu auf. In der Feier des Heiligen Abendmahls wird gefeiert, dass der Sinn des Brotes ist, geteilt zu werden, gegessen, einverleibt, damit es Hunger stillen kann. Das muss auch für das Brot gelten, von dem Jesus gesagt hat, er selbst sei es.

So stellt es auch das Bild dar, mit dem Stefanie Bahlingers Grafik die Worte der Jahreslosung interpretiert. Die Elemente des Heiligen Abendmahls warten auf uns, wenn wir durch die Tür treten.

Aber allein die Teilnahme am Abendmahl bedeutet nicht, dass wir das lebendige Brot schon so aufgenommen hätten, wie Jesus es uns schenken will. Das Essen des lebendigen Brotes will eine Rolle in unserem Alltag spielen: Darum geht es in der Nachfolge Jesu, dass wir alles das, was er uns bedeutet und gibt, so in uns aufnehmen, dass es uns verändert, kräftigt, uns zu anderen Menschen macht.

Jesus als Brot des Lebens zu verstehen nehmen, bedeutet, dass wir uns mit ihm auf den Weg machen, dass wir unsere Nöte spüren und die unserer Welt. Dass wir uns heilen lassen und dazu beitragen, dass die Welt heiler wird.

Wenn wir verinnerlichen und umsetzen, was wir von Jesus verstanden haben, dann werden wir immer weniger von Angst gesteuert, von falschen Hoffnungen, von Selbstsucht, von Abgrenzung und Machtansprüchen. Wenn wir Jesus als unser Lebensmittel - als Mittel zum Leben - entdecken und seine Art zu leben in unserer Lebensmitte ankommt, dann werden wir erfüllt und von der Hoffnung bestimmt, zu dem zu gehören, der uns über alles Vorstellbare hinaus trägt.

Dass Brot auch ein Zeichen für solche Qualität des Lebens sein kann, haben die Menschen auch der Predigt Jesu angemerkt. Sie merken, dass ihnen das fehlt. Keiner will mit dem anderen etwas zu tun haben, es sei denn, ihm erwächst ein materieller Vorteil daraus. Das Leid des anderen, warum sollte ich mich dafür interessieren? Es interessiert ja auch keinen, wenn es mir nicht gut geht.

Und weil sie merken, dass ihnen Liebe und Solidarität untereinander fehlen, und weil sie sich danach sehnen und weil sie merken, dass Jesus ihnen das geben kann, was sie brauchen, sagen sie: „Herr, gib uns allezeit von diesem Brot des Lebens, das aus dem Himmel kommt. Schenke uns eine andere, eine neue Qualität des Lebens. Verändere du, Jesus, unser Leben.“

Jesus lädt sie alle ein, lädt auch uns ein, zu ihm zu kommen. Abgewiesen wird niemand von ihm. Darin erfüllt er den Willen seines Vaters, der sich in grenzenloser und offener Liebe allen Menschen öffnet wie eine immer offene Tür.

Und Jesus gibt ihnen damals am See Tiberias und uns heute überall auf der Welt das Brot der Liebe und das Brot der Hoffnung. Er stiftet das Brot der Nähe zueinander und das Brot der Gemeinschaft. Er macht uns satt mit dem Brot der Tröstung und der Vergebung.

Das nicht nur heute und jetzt, sondern immer und alle Tage. Von dem Brot, das Jesus gibt können wir leben, Tag für Tag.

Wer zu Jesus kommt, den wird nicht mehr hungern und dürsten. Wer Jesus in sein Leben hinein lässt, der wird die Liebe spüren, der erhält Hilfe und Halt. Ja, da wird der Himmel schon auf Erden. Der Himmel, von dem dieses Brot kommt.

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