Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus seinem eingeborenem Sohn und unserem Herren! Amen
Liebe Gemeinde!
Es ist der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin. Die industrielle Entwicklung boomt. Der deutsche Nationalstolz ist auf hohem, bisweilen aggressivem Niveau. Kaiserreich und Evangelische Kirche sind ineinander verzahnt. Thron und Altar sind gewissermaßen eins. Der Kaiser ist oberster Bischof der Kirche. Die Pfarrer — damals gab es nur Männer in diesem Beruf — sind Beamte des preußischen Staats. Es regiert Wilhelm der II., Kaiser und König von Preußen. Er ist verheiratet mit Auguste Viktoria. Der Volksmund nennt sie auch gerne Kirchenjuste.
Vor allem ihrem Interesse ist es zu verdanken, dass im Berlin der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert 75 neue evangelische Kirchen in Berlin gebaut wurden. Sie hatte einen Hilfsverein für Kirchbauten ins Leben gerufen. Auguste Viktorias Antrieb für ihr Engagement war vor allem, dass sie der sozialen Not der Arbeiterschaft wehren wollte. Die Arbeiter sollten für die Kirche gewonnen werden. Was für den kaiserlichen Hof im Wesentlichen hieß, der empfundenen schwindenden Moral im Volk Einhalt zu gebieten.
Berlin wurde in jenen Jahren immer voller und immer enger. Die Mietskasernen entstehen, und doch ist viel zu wenig Wohnraum vorhanden. Zehn Menschen, die sich Stube und Küche teilen und darüber hinaus ihre Betten noch stundenweise für sogenannte Schlafgänger vermieten. Das ist die soziale Wirklichkeit jener Jahre. Armut und Not bestimmen vor allem die Gegenwart in den Quartieren des Wedding.
Viele der Kirchenneubauten jener Zeit sehen sich sehr ähnlich. Rote Backsteinkirchen, die oft auf auffälligen Plätzen stehen, groß und von Weitem zu sehen. So wünschte es die Kaiserin. Für die katholischen Kirchenneubauten galt allerdings, dass sie in die Straßenfluchten einrücken mussten, so wie etwa die St. Josef-Kirche in der Müllerstraße 165.
In diese Zeit fällt auch die Ausgründung einer neuen Gemeinde aus der Nazareth-Gemeinde in den Bereich des Wedding, der heute Sprengelkiez heißt. Zunächst bekommt sie schlicht den Namen Nazareth II. Später erhält sie den Namen Oster. Leider sind die Motive hinter dieser Namensgebung, die dahinter stehenden Entscheidungsprozesse nicht mehr nachvollziehbar. Aber unsere Mütter und Väter im Glauben, die hier wohnten machten sich diesen Namen zum Programm.
Zunächst brauchte die Gemeinde einen eigenen Ort. Eine Kirche muss gebaut werden. Aber die Gemeinde ist arm und das Kaiserreich für diesen Ort wenig gebefreundlich. So wurde nicht weithin sichtbar auf dem Sparplatz gebaut, wo die Gründung im sumpfigen Untergrund erhebliche Kosten verursacht hätte, sondern an der Ecke Samoastraße / Sprengelstraße. Für uns heute eine gute Entscheidung. So steht die Kirche mitten im Kiez. Auch wurde damals darum gerungen, ob der Kirchneubau teuer elektrifiziert werden soll, ober ob aus Kostengründen darauf verzichtet wird. Die Osterkirche rückte in die Straßenfront ein wie ihre katholische Nachbarkirche St. Josef. Schon in ihrem Beginn litt die Ostergemeinde an knappen finanziellen Ressourcen.
Am 18. Juni 1911 wurde die Osterkirche feierlich eingeweiht, aber weder Kaiser noch Kaiserin waren zugegen. 1913 dann erfolgte erst die Ausmalung der zunächst weißen Wände. Die Gemeinde, die stolz ihren Namen nach dem Fest der Auferstehung trug, ließ zwei große Bilder an die Altarwand malen. Sie zeigen Geschichten aus der Bibel, die der Begegnung mit dem Auferstandenen zeigen: Maria von Magdala und die Emmausjünger.
Auferstehung, Aufstehen gegen die Not und die Armut, vielleicht sogar Aufstand wurden zum Grundton des Gemeindelebens. Schon bald sollte das Kaiserreich untergehen, die Ostergemeinde blieb. Soziales Engagement, Armenhilfe, Jugendfürsorge gehörten damals zu ihren gemeindlichen Lebensäußerungen. Die Osterkirche fasste 1000 Menschen und die Gottesdienste waren voll.
Leider verstand es nach dem Ende der Weimarer Zeit nur ein kleiner Teil der Gemeinde gegen die völlige Vereinnahmung der Kirche durch den Nationalsozialismus aufzustehen. Der Bekenntnistreue Teil der Gemeinde wurde aus dem Hause Osterkirche ausgeschlossen. Während der größere Teil der Ostergemeinde zu einer Erneuerung der Kirche im nationalsozialistischen Geiste strebte und damit alles Unheil des Ungeistes jener Jahre in die Gemeinschaft hineinholte, blieb der kleinere Teil der Gemeinde bekenntnistreu. So wie es die Barmer Theologische Erklärung in ihrer ersten These formuliert: Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.
Das Ende der Nazi-Gewaltherrschaft war auch das Ende des Krieges, den sie über Europa und die ganze Welt gebracht hatten. Viele Kirchen in Berlin waren stark durch die Auswirkungen dieses Krieges beschädigt. Zum Teil so, dass ein Wiederaufbau unmöglich war. Anders die Osterkirche. Tapfer ist die Kirche mit dem Auferstehungsfest im Namen stehen geblieben. Gewiss einige Schäden hat sie auch erhalten. Aber sie ist eine von ganz wenigen Berliner Kirchen der Kaiserzeit, deren Innenausstattung und Ausmalung im Original erhalten ist.
Die Gemeinde stand auf, überlebte Blockadezeit im westlichen Berlin und Teilung der Stadt durch den Mauerbau. Über Gräben des Streits wurden Hände gereicht und in den fünfziger, sechziger und Folgejahren zog das gemeindliche Leben neu ein. Auch die alten Verantwortungen für die Menschen um sie herum übernahm die Gemeinde wieder und gründete z. B. eine Kindertagesstätte, zur Betreuung der Kinder im Kiez oder wurde Ausgabestelle der Berliner Tafel mit Laib & Seele.
Über die Unternehmungen unserer Ostergemeinde mit ihrer Kirche und ihre Bedeutung für den Kiez zwischen Klinikum, Kanal, Technischer Fachhochschule und S-Bahntrasse ist in den letzten Tagen viel berichtet und gesprochen worden. Vom Quartiersmanagement wäre zu erzählen, vom Frauentee, von der Schwedenreise, den vielen Konzerten, der 100 – Jahrfeier, der Gründung der Ausgabestelle für Laib & Seele und noch ganz vielem mehr.
Manchmal scheint mir in diesem Erzählen eine gewisse Wehmut zu liegen. Verstärkt durch manchen Frust und manchen Verlust, die uns die letzten eineinhalb Jahre unter der Infektionsschutzverordnungen wegen der Corona-Pandemie ereilt haben.
Viele einst in der Gemeinde engagierte Menschen sind gegangen, manche auch gestorben. Die Zahl der Gemeindeglieder insgesamt ist deutlich gesunken. In unserer Gesellschaft ist die Kirche deutlich marginalisiert. Nicht nur unser Gebäude, sondern auch unser Miteinander trägt manche Verletzung. Wir sehen die Wunden an unserem Gemäuer und spüren sie zugleich innerlich. Vielleicht ist es an der Zeit den Stein vor des Grabes Tür zu rollen, könnte sich als Gefühl einstellen.
Doch unsere Kirche trägt immer noch, nun schon seit 110 Jahren, den Namen des Auferstehungsfestes. Ganz oben über dem Altar das Wort aus einem der Auferstehungsworte Jesu: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ Soviel an Mangel, an Zerstörung, an Zweifel hat die Gemeinde im zurück liegendem Jahrhundert erlebt. Und immer wieder ist sie aufgestanden gegen den Tod und die Bedeutungslosigkeit.
Denn im Zuspruch dieses Wortes hat die Gemeinde immer weiter gelebt. Und dass kann sie auch in den nächsten 110 Jahren oder noch viel länger. Dazu brauchen wir Mut und Gottvertrauen. Dazu müssen wir aufstehen gegen manche Erlahmung und manchen Frust. Zarte und auch deutliche Zeichen sind zu lesen dafür, dass unsere Kirche hier an diesem Ort ist, nicht weil wir sie machen, sondern weil Gott sie will.
Wir werden neue Mitstreiter und starke Unterstützer suchen und finden müssen. Wir dürfen nicht fremdeln gegenüber Veränderungen und neuen Menschen, die sich hier engagieren wollen. Wir müssen auch mal über der Tellerrand gucken, Regionalität und Gemeinschaft mit den Nachbargemeinden und im Kirchenkreis wagen.
Die Ostergemeinde hat eine besondere Stärke. Nicht gegründet in den zum Teil arg verrottenden Mauern des Kirchengebäudes, sondern in der Gemeinschaft derer, die auf den Zuspruch Jesu vertrauen:
Ich lebe und ihr sollt auch leben.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen
und Sinne in Christus Jesus. Amen